lunes, 8 de diciembre de 2008

Naturellart Frankfurt/Main.











Gastgeber, Prof. Kelm, Stiftung zur Förderung der internationalen Beziehungen der Universität.

Frau Generalkonsulin der Republik Uruguay Frau Doctora Marie Jose Vignone,
Herrn Honorarkonsul Hans Brummerman
Musiker Ricardo Moranja und Carlos Flores Moreno
Und Prof. Alejandro Turell, Kollege und momentan Gastdozent am Institut für Kunstpädagogik an der Goethe Universität
liebe Gäste

Uruguay, ein Land mit Größe 2/3 der Bundesrepublik hat 3 Millionen Einwohner, ca. 1,7 Mil. Leben im Großraum MVD – Vorstellung von der Größe und auch der geringen Bevölkerungsdichte. Turell, der Professor an der Akademie der schönen Künste in Montevideo ist, lebt in der Hauptstadt und einen großen Teil des Jahres am Barra de Chuy, einer Lagunenlandschaft an der Grenze zwischen Uruguay und Brasilien.



Wenn Turell auf dem Campo, dem Land, lebt, durchstreift er regelmäßig die Umgebung seines Dorfes und sammelt die Dinge, die er findet.
Das temporäre Leben auf dem Land hat in Uruguay einen von Deutschland völlig verschiedenen Stellenwert: In den Sommerfreien, d.h. von Dezember bis Ende Februar ist wirklich Jeder eine Zeit outdoor, mit Zelt, in Cabanas oder in Hotels und Pensionen. Die Tradition und der Mythos des Gauchos sind nicht nur in der urugayischen Vorliebe für das Gegrillte, dem assado lebendig, sondern auch im Erleben der Natur(räume).

Carlos Maria Dominques, ein bekannterer urugayischer Autor beschreibt in seiner Erzählung ‚das Papierhaus’ die auf eine Enttäuschung folgende Zivilisationsflucht des Helden der Erzählung, der seine umfangreiche Bibliothek in MVD auflöst und aus den Büchern am einsamen Strand von Rocha ein Haus baut – das er , um einer geliebten Frau ein Buch zu schenken, das vergriffen zwar, aber im Fundament seines Hauses eingebaut, wieder einreißt.
Womit weniger die Romantik des Lebens am Atlantikstrand als der Widerstand gegen die Liebe in Frage gestellt ist.

Zurück zu Alejandro. Sein Atelier in MVD ist Arbeitsplatz und gleichzeitig Archiv mit dem Charakter einer Wunderkammer. Es findet sich vieles aus den Straßen und Ecken von Montevideo, häufig Erinnerungen an eine Stadt die sich in den letzten 10 Jahren so rapid verändert hat - mit ihren Cafes und Bars, den Häusern im kolonialen Stil aber noch immer (und in den letzten Jahren vermehrt) Touristen anzieht, die hier vermeintlich reine südamerikanische Realität suchen.

Der größte Teil seiner Sammlung besteht allerdings aus den Dingen, die er bei seinen Spaziergängen und Erkundungen findet und aufhebt: Knochenstücke, manchmal zusammenhängende Teile von Skeletten von Tieren, Panzer, Gürtel von Gürteltieren. Aber auch Pfeilspitzen, die von den heute in Uruguay nicht mehr vorkommenden Ureinwohnern stammen, seltsam geformte Kugeln mit Spitzen und Ecken, mit denen diese jagten und die sich, besonders nach starkem Regen, vielfach finden lassen.



Dieses Umherstreifen und Suchen in der Hügellandschaft zwischen Brasilien und Uruguay ließ mich darüber nachdenken, ob es den Flaneur auf dem Campo geben kann. Gibt es den Flaneur auf dem Land? Für Walter Benjamin ist in seinem Passagenwerk ist die Stadt unbedingte Voraussetzung für die interessenlosen Wanderungen des Flaneurs. Sie ist ‚die Realisierung des alten Menschheitstraumes vom Labyrinth. Dieser Realität geht, ohne es zu wissen, der Flaneur nach’. Und Benjamin weiter: ,nicht als akribischer Chronist, sondern als wandelnder Poet.’

Könnte, im Zug eine veränderten , nachmodernen Bewertung nicht auch das Land, die Landschaft (und ich denke, man spricht nicht zufällig von Stadtlandschaft) Bewegungsraum für den Flaneur sein, der auf Unterschiedlichkeiten reagiert und sie poetisch archiviert?

Lassen sie es mich so versuchen: war der Flaschentrockner Duchamps vielleicht auch deshalb in Amerika ein so großer Erfolg, weil er erstens (aber das soll hier nicht so interessieren) eine völlig neue Idee von Plastik formulierte und zweitens, weil er für die Betrachter in den Vereinigten Staaten eine romantische Erinnerung an eine frühindustrielle Produktion ins Gedächtnis rief? Schon Industrie, aber doch noch das frühere, die Manufaktur?

Könnte man so nicht auch, in einem postmodernen Transfer, das Entdecken beim Flanieren beim aufmerksamen durchschreiten in der Stadt wie in der Landschaft beheimaten?


Um zu Turells Arbeiten zurückzukehren: Alejandro hat präsentiert uns im Gästehaus einen Ausschnitt aus seinen Sammlungen. Überwiegend Zeichnungen und Gouachen von Tieren, Insekten, Wasser und Landlebwesen, einige kleine Landschaftsbilder, die in der altertümlichen Technik der Enkaustik, der Malerei mit pigmentiertem Wachs, ausgeführt sind. Menschen sehe ich keine. Dann gibt es noch verschlossene Tagebücher, alchimistisch anmutende Wassertintenfässchen stehen hinter ihnen und eine sehr kleine Ratte, die in einem Käfig aus Glas, der unter einem großen Glassturz steht, ausgestellt ist. Ein offener Koffer, in dem inmitten von Federn, zwei Nandufüße (die Füße eines südamerikanischen Laufvogels) liegen, die sicherlich unter künstlerischer Umgehung zollrechtlicher Bestimmungen ihren Weg nach Frankfurt gefunden haben. Dazu noch die Miniatur einer vielleicht barocken Spiegelvitrine, in der sich Tiere in phantastischen Dimensionen tummeln.

Alejandro Turell ist kunsttheoretisch (siehe Duchamp) durchaus legitimiert, seine Arbeiten als ‚objet trouve’ zu definieren. – der Künstler bestimmt, was Kunst ist.
Das objet trouve ist in unserem Kunstverständnistradition zwar weitgehend als gefundenes Objekt und nicht als gefundene Natur definiert- bei Duchamp finden sie unter den objet trouve, soweit mir geläufig, gar nichts nicht hergestelltes, von der im Glasflakon vorgeblich eingeschlossenen ‚Pariser Luft’ einmal abgesehen- aber eine Definition, die Teile der gewachsenen Natur aus der Objektfamilie ausschließt, ist mir ebenfalls nichts bekannt.

Ich habe grade darauf hingewiesen, dass bei Duchamp das objet trouve immer etwas hergestelltes, gemachtes ist. Ein Pissoir, eine Schneeschaufel, der Flaschen- trockner. Aber ist unser Naturbild nicht auch überwiegend konstruiert- also gemacht? In Mitteleuropa ist Landschaft Kulturlandschaft und auch in Uruguay existiert nahezu keine primäre Vegetation mehr, das heutige Landschaftsbild entstand weiträumig durch die Veränderungen, die intensive Weidewirtschaft mit sich brachte. Autochtone Vegetation ist in Uruguay die Ausnahme. Das weite Land wird, auch noch in den von der Hauptstadt weit entfernten Gegenden, intensiv genutzt.

Dies beinhaltet, dass das Zitat der Natur im Bild oder im Objekt nicht länger nur auf Ursprüngliches, sondern auch auf die Veränderungen durch den Menschen hinweist, auf Umwandlung von Natur zur Ware.

Ich habe in den letzten Jahren mehrfach Uruguay besucht. Viele Menschen, mit denen ich dort gesprochen haben, warnen ernst vor einem bedenkenlosen Umgang mit der bisher noch wertvollsten Ressourcen des Landes, seiner Landschaft und seinen Flüssen und Wasservorräten. Der Landschaftflaneur Alejandro Turell ist einer von ihnen.


Herzlichen Dank für das Engagement, hier für den heutigen Abend und die nächsten 10 Tage eine so umfangreiche Arbeit zu präsentieren. Die Ausstellung ist somit eröffnet, die Ouvertüre werden Ricardo Moranja und Carlos Flores Moreno übernehmen, in der Pause laden wir sie herzlich zu einem stärkenden Imbiss an unser Büffet.


Prof. Jochen Fischer
Dic-08
Frankfurt/Main.

1 comentario:

Unknown dijo...

buenazas las fotos!!!!!! felicitaciones esta re lindo. te esperamos a la vuelta.
seba